Der Missbrauchsfall von Bergisch Gladbach
Veröffentlicht: Dienstag, 12.11.2019 12:33
Zunächst sind es unglaubliche Vorwürfe gegen einen Familienvater aus Bergisch Gladbach. Nachdem dort mehrere Terabyte mit Videos und Bildern von Kindesmissbrauch sichergestellt werden, weitet sich der Fall immer weiter aus. Mittlerweile sind 250 Ermittler im Einsatz. Eine Chronologie.

21. Oktober 2019
Ein 42-jähriger Mann aus Bergisch Gladbach steht in Verdacht, kinderpornografische Bilder zu besitzen. Nachdem der Mann mit seiner Familie aus dem Urlaub zurück kommt, durchsucht die Polizei sein Haus und entdeckt dabei enorme Mengen an Videos und Fotos, auf denen Kinder missbraucht werden. Schnell zeigt sich: Einige der Aufnahmen haben in der Gladbacher Wohnung stattgefunden.
22. Oktober 2019
Der Tatverdächtige kommt in Untersuchungshaft, wegen schweren sexuellen Missbrauchs und der Verbreitung und Herstellung von Kinderpornografie.
Es ergeben sich Hinweise auf zwei weitere Verdächtige.
24. Oktober 2019
Bei der Durchsuchung eines 26-Jähriger aus dem Raum Kamp-Lintfort bestätigt sich der Verdacht des schweren sexuellen Missbrauchs. Der Mann kommt in Untersuchungshaft. Ein weiterer Verdächtiger wird im hessischen Niedernhausen festgenommen.
31. Oktober 2019
Die Kölner Polizei gibt bekannt, in Langenfeld einen weiteren Verdächtigen festgenommen zu haben. Ihm wird wie den bisherigen Verdächtigen schwerer sexueller Missbrauch und die Herstellung und Verbreitung von kinderpornografischem Material vorgeworfen. Die Polizei kennt bisher sechs Opfer im Alter von unter einem Jahr und zehn Jahren. Die Opfer sollen die Kinder oder Stiefkinder der Tatverdächtigen sein.
Alleine in der Wohnung in Bergisch Gladbach wurden drei Terabyte Daten sichergestellt. Kölns Polizeipräsident Jacobs:
Sie sehen mich fassungslos und bestürzt in Anbetracht dieser schrecklichen Taten.
20 Ermittler der Kölner Polizei und Beamte aus Bergisch Gladbach kümmern sich um den Fall.
5. November 2019
Die Polizei nimmt am Abend einen Mann in Krefeld fest. Es ist bereits die fünfte Festnahme. Die sechste folgt noch in der Nacht bei Aachen. Eine erneute Durchsuchung des Hauses in Bergisch Gladbach mit Hilfe speziell geschulter Datenspürhunde bringt weiteres Material ans Licht.
6. November 2019
Die Kölner Polizei gibt auf einer Pressekonferenz Details zum Missbrauchsfall bekannt. Sie berichtet von zwei Opfern im Alter von fünf und elf Jahre, die massiv missbraucht worden sein sollen und nun in Betreuung sind. Bei den Verdächtigen findet die Polizei Liebesbriefe in Kinderhandschrift, Sex-Spielzeuge, Fesselutensilien und Unmengen von schockierenden Fotos und Videos.
Die Polizei rechnet mit weiteren Opfern. Ihr Schutz hat oberste Priorität, sagt Kölns Polizeipräsident Jacob.
Man kann sich nicht vorstellen, wie schrecklich die Täter diese unschuldigen Opfer missbrauchen. Wir müssen einfach so schnell wie möglich die Täter, die noch aktiv sind, identifizieren, damit diese schrecklichen Taten beendet werden.
Die zuständige Sonderkommission wird auch deswegen auf über 130 Beamte aufgestockt. Ein Mann gesteht den Missbrauch an
Die Polizei berichtet von Chat-Gruppen mit bis zu 1.800 Teilnehmern. In ihnen wird überwiegend auf deutsch, aber auch in kyrillischer Schrift geschrieben.
7. November 2019
153 Ermittler werten mittlerweile in Schichten die Unmengen des gesicherten Materials aus. Mindestens zehn Terabyte Daten konnten sichergestellt werden, berichtet Innenminister Herbert Reul im Landtag zum Missbrauchsfall und lobt die Arbeit der Polizisten. Neun Kinder konnten identifiziert und gerettet werden. Das jüngste ist elf Monate alt. Nach Expertenmeinung ist der Fall in Bergisch Gladbach nur die Spitze des Eisbergs.
8. November 2019
Die Polizei fürchtet, dass weitere Täter noch immer aktiv sind. Aus Ermittlerkreisen heißt es, man gehe mittlerweile von einer zweistelligen Opferzahl aus. Man sei aber auch optimistisch, bald weitere Täter festnehmen zu können. Die Zahl der Ermittler wird noch einmal erhöht.
Ein Treffen im Kölner Polizeipräsidium mit Bundeskriminalamt, Landeskriminalamt und der Sondereinheit Cybercrime deutet darauf hin, dass es sich um ein Netzwerk in mehreren Bundesländern handeln könnte. Die Polizei bereitet sich darauf vor, die Ermittlungen bundesweit oder sogar international auszuweiten.
Sie kann außerdem in mehreren Fällen nachweisen, dass die Verdächtigen ihre Opfer untereinander getauscht haben.
Medien berichten unterdessen von einer Panne bei den Behörden. Die Polizei hatte einen der sechs bisher festgenommenen Täter offenbar bereits im Juni im Visier. Die Klever Staatsanwaltschaft veranlasste jedoch keine Hausdurchsuchung. Der Mann aus dem Großraum Wesel wurde dann eine Woche nach der Durchsuchung in Bergisch Gladbach festgenommen worden.
9. November 2019
Laut Kölner Polizei wird ein weiterer Verdächtiger festgenommen. Es ist die siebte Festnahme. Dabei handelt es sich um einen 57 Jahre alten Mann aus Alsdorf bei Aachen. Die Durchsuchung seines Hauses werde wohl mehrere Tage in Anspruch nehmen, so die Polizei. Es sei zu erwarten, dass sich die Ermittlungen auf andere Bundesländer und möglicherweise ins Ausland ausweiten.
11. November 2019
Die Auswertung von Chats führt die Polizei zu einem weiteren Verdächtigen. Ein 47-jähriger Mann aus Lünen wird laut Polizei festgenommen und kommt in Untersuchungshaft. Es bestehe der Verdacht auf sexuellen Missbrauch - anders als bei den anderen Festgenommen allerdings nicht von eigenen Kindern, sondern anderen Opfern. Es ist bereits die achte Festnahme im Missbrauchsfall. Bisher sind der Polizei 12 Opfer bekannt. Sie rechnet aber damit, dass die Zahl der Opfer und Täter noch steigen wird.
Die SPD-Fraktion will derweil die Ermittlungen rund um den Missbrauchsfall zum Thema im Landtag machen. Fraktionsvize Sven Wolf, Landtagsabgeordneter für Remscheid und Radevormwald, sagt gegenüber dem Kölner Stadtanzeiger:
Der Umgang der Sicherheitsbehörden mit diesem schlimmen Fall wirft zahlreiche Fragen auf. Wir erwarten vom Innenminister und vom Justizminister, dass hier jeder Stein umgedreht wird.
Wolf spricht von Pannen bei der Staatsanwaltschaft Kleve, zu der sich die Landesregierung äußern müsse.
13. November 2019
Das Landeskriminalamt setzt im Missbrauchsfall neue Mitarbeiter ein, die keine Polizisten sind. Sie wurden erst vor wenigen Wochen als sogenannte Bewerter eingestellt. 14 Mitarbeiter werden speziell zur Sichtung des Missbrauchsmaterials eingesetzt. Der Fall ist damit die Bewährungsprobe für die neuen Mitarbeiter, sagt ein LKA-Sprecher.
Außerdem sind die Missbrauchsfälle bei einer Fragestunde Thema im Landtag. Dabei berichtet Justizminister Biesenbach, dass es einen Justizfehler gegeben habe. Ein Verdächtiger, der bereits im Juni wegen Kindesmissbrauchs in Wesel aufgefallen war, war monatelang weiter auf freiem Fuß geblieben.
In Rheinland Pfalz gibt es eine neunte Festnahme. Laut NRW-Justizministerium sitzt der Mann bereits in Untersuchungshaft. Weitere Details sind zunächst nicht bekannt.
15. November 2019
Als Reaktion auf Bergisch Gladbach und Lüdge will der nordrhein-westfälische Landtag eine parlamentarische Kinderschutzkommission einsetzen. Damit sollen Kinder künftig besser vor Gewalt geschützt werden. Den Antrag haben CDU, FDP, SPD und Grüne gemeinsam eingebracht. Die Kommission soll konkrete Vorschläge für den besseren Schutz von Kindern erarbeiten und dem Parlament jährlich Bericht erstatten. Die Rechte der Kinder sollen damit auch politisch gestärkt werden.
20. November 2019
Im Zuge der Ermittlungen um den massenhaften Missbrauch von Kindern hat die Polizei einen zehnten Verdächtigen festgenommen. Der 32-Jährige aus Bergisch Gladbach sitze in Untersuchungshaft, teilten Polizei und Staatsanwaltschaft mit. Er soll zwei Kinder missbraucht und kinderpornografisches Material verbreitet haben. Sein Wohnsitz werde durchsucht, hieß es.
Die Ermittler gehen von zahlreichen weiteren Tätern und Opfern aus: Nach Angaben aus Sicherheitskreisen konnten bundesweit bisher 20 Opfer und 23 Tatverdächtige identifiziert werden. Demnach gibt es in Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg weitere Verdächtige - in Hessen, Berlin und Rheinland-Pfalz Tatverdächtige und Opfer.
21. November 2019
Die Zahl der Festnahmen steigt immer weiter: Neben dem weiteren Bergisch Gladbacher ist am Mittwoch auch ein 38-jähriger in Sachsen-Anhalt festgenommen worden. Nach Polizeiangaben soll er ein Mädchen aus seinem unmittelbaren Umfeld missbraucht haben. Die Kölner Ermittler hatten den Mann bei der Auswertung von Chats identifiziert.
Laut Einsatzleiter war Eile geboten, um die andauernde Gefahr für das Mädchen abzuwehren. Daher sollten die Beweismittel per Hubschrauber nach Magdeburg gebracht werden. Da die Sicht aber zu schlecht war, wurde die entsprechende Festplatte von Beamten dorthin gefahren. Es ist die mittlerweile elfte Festnahme in dem Fall.
6. Dezember 2019
Die Kölner Staatsanwaltschaft teilt mit: Ein festgenommener Tatverdächtiger ist wieder auf freiem Fuß. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft gibt es gegen ihn keinen dringenden Tatverdacht mehr. Das hatte die Haftprüfung des zuständigen Gerichts entschieden. Der Ermittlungen gegen den Mann laufen aber unverändert weiter.
Damit sitzen in NRW jetzt noch sieben Männer in U-Haft. Insgesamt gibt es in Nordrhein-Westfalen mittlerweile 16 Beschuldigte.
14. Januar 2020
Der Missbrauchsfall weitet sich erneut aus: Die Ermittler haben einen Beschuldigten in Österreich ermittelt. Laut Polizei gibt es in der Sache in NRW derzeit 21 Beschuldigte, von denen acht in Haft sind. Außerdem hat die Polizei Köln 21 Hinweise auf Straftaten in zehn andere Bundesländer weitergeleitet.
15. Januar 2020
Es wird bekannt, dass Ermittler schon seit längerem Verbindungen zum Fall Lügde prüfen. Dabei geht es um einen Verwandten des mutmaßlichen Täters aus Gladbach: Er hatte einen Stellplatz auf dem Campingplatz in Lügde. Außerdem soll der Mann bereits selbst wegen Missbrauchs verurteilt worden sein. Er bestreitet, die Täter aus Lügde auf dem Campingplatz kennengelernt zu haben.
Aus Sicht der Ermittler spreche Einiges für Zufall – eine Verbindung der beiden Fälle sei aber nicht komplett ausgeschlossen. Laut Medienberichten soll bei einem Beschuldigten in Gladbach außerdem kinderpornografisches Material sichergestellt worden sein, dass in Lügde entstanden ist.