Schülerproteste gegen neue Wehrdienst-Pläne

Während der Bundestag entscheidet, wächst der Protest auf den Straßen. Besonders in NRW mobilisieren Schülerinnen und Schüler in ungewöhnlicher Breite. Der Konflikt zwischen politischer Entscheidung und jugendlichem Widerstand spitzt sich zu.

Soldaten beim Antrittsbesuch des Bundesministers der Verteidigung, Boris Pistorius (SPD)
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Der Bundestag stimmt über die neuen Wehrdienst-Pläne der Bundesregierung ab - bundesweit formiert sich massiver Protest junger Menschen. Auch in Nordrhein-Westfalen sind Schülerinnen und Schüler, Jugendorganisationen und Initiativen aktiv: In mehr als einem Dutzend Städten sind Demonstrationen, Kundgebungen und Streikaktionen geplant. Ein breites Bündnis aus verschiedenen Jugendorganisationen ruft für den selben Tag bundesweit – und besonders auch in NRW – zu einem „Schulstreik“ auf. Mit dabei ist auch die Landesschülervertretung NRW.

Der Protest richtet sich gegen die geplante Neuausrichtung des Wehrdienstes, die nach Auffassung vieler junger Menschen den Weg für eine spätere Rückkehr zur Wehrpflicht ebnet. Die Aktionen verteilen sich über den gesamten Tag und reichen von kleineren Kundgebungen bis hin zu Großdemonstrationen mit mehreren tausend erwarteten Teilnehmenden.

„Kein Zwangsdienst für junge Menschen“

Besonders deutlich fällt die Kritik der Landesschülervertretung NRW aus. In einer Erklärung lehnt sie jede Form staatlicher Zwangsdienste grundsätzlich ab. Der Staat dürfe sich nicht „über Körper, Lebenszeit und Zukunftspläne junger Menschen hinwegsetzen, um geopolitische Interessen durchzusetzen“, heißt es darin. Politisches oder gesellschaftliches Engagement müsse freiwillig bleiben – auch im Militär.

Viele Jugendliche befürchten, dass die aktuellen Pläne nur ein Zwischenschritt sind. Die verpflichtende Erfassung ganzer Jahrgänge junger Männer wird von den Protestierenden als Einstieg in eine mögliche spätere Zwangsverpflichtung gesehen. In sozialen Netzwerken mobilisieren Schülervertretungen, Jugendverbände und Aktivistengruppen seit Tagen für die landesweiten Aktionen.

Das plant die Bundesregierung konkret

Hintergrund der Proteste ist ein neues Wehrdienstgesetz, über das der Bundestag heute abstimmt. Angesichts der veränderten sicherheitspolitischen Lage – mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und wachsenden Spannungen weltweit – will die Regierungskoalition die personelle Einsatzfähigkeit der Bundeswehr deutlich erhöhen.

Kernpunkte des Gesetzes sind:


  • die verpflichtende Musterung ganzer Jahrgänge junger Männer,
  • die Einführung eines flächendeckenden Erfassungssystems per Fragebogen,
  • sowie konkrete Zielzahlen für die Vergrößerung der Bundeswehr.


Zwar bleibt der eigentliche Wehrdienst zunächst offiziell freiwillig. Alle 18-jährigen Männer sollen jedoch verpflichtet werden, einen Fragebogen auszufüllen und zu einer Musterung zu erscheinen. Sollte sich zeigen, dass die Zahl der Freiwilligen nicht ausreicht, kann der Bundestag später eine sogenannte Bedarfswehrpflicht beschließen. In diesem Fall wäre sogar ein Zufallsverfahren zur Auswahl der Betroffenen möglich.

Die heutige Zustimmung im Bundestag gilt als sicher

NRW-Schulministerium: Schulstreiks während der Unterrichtszeit „grundsätzlich unzulässig“

 Dorothee Feller (CDU), Schulministerin
© picture alliance/dpa | Oliver Berg
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Parallel zu den politischen Beratungen sorgt die Haltung des nordrhein-westfälischen Schulministeriums für zusätzlichen Zündstoff. Ein Sprecher stellte klar, dass Schülerinnen und Schüler laut Schulgesetz verpflichtet seien, regelmäßig am Unterricht sowie an allen verbindlichen Schulveranstaltungen teilzunehmen.

„Die Teilnahme an einem Schülerstreik während der Unterrichtszeit ist daher grundsätzlich unzulässig“, erklärte das Ministerium. Für die Ausübung des verfassungsmäßigen Rechts auf Versammlungsfreiheit gebe es außerhalb der Unterrichtszeit ausreichend Gelegenheit.

Diese Position stößt bei vielen Jugendlichen auf scharfe Kritik. Sie empfinden sie als Versuch, ihren Protest zu delegitimieren. Gerade weil sie sich direkt von den Wehrdienst-Plänen betroffen sehen, halten sie einen Schulstreik für ein legitimes Mittel des politischen Ausdrucks. Viele Schulleitungen stehen nun vor der Frage, wie sie mit Fehlzeiten und möglichem Unterrichtsausfall umgehen.

Landesweiter Protesttag: Diese Aktionen sind in NRW geplant

In Nordrhein-Westfalen sind Protestaktionen zu unterschiedlichen Zeiten in zahlreichen Städten angekündigt. Die erwarteten Teilnehmerzahlen reichen von wenigen Dutzend bis zu mehreren Tausend:


  • 09:00 Uhr – Bochum (Schauspielhaus): rund 500 Teilnehmer
  • 09:00 Uhr – Köln (vor der Unimensa): etwa 80 Teilnehmer
  • 10:00 Uhr – Essen (Burggymnasium): rund 1.000 Teilnehmer
  • 10:00 Uhr – Münster (Paul-Wulf-Statue): etwa 250 Teilnehmer
  • 10:00 Uhr – Hagen (Ferdinand-David-Park): rund 40 Teilnehmer
  • 10:30 Uhr – Bielefeld (Rathausplatz): etwa 350 Teilnehmer
  • 11:00 Uhr – Bonn (Rathausplatz): rund 500 Teilnehmer
  • 11:15 Uhr – Eitorf (Siegtal-Gymnasium): etwa 250 Teilnehmer
  • 11:00 Uhr – Solingen (Neumarkt): rund 100 Teilnehmer
  • 11:30 Uhr – Düsseldorf (Platz der Deutschen Einheit): etwa 50 Teilnehmer
  • 12:00 Uhr – Köln (Bahnhofsvorplatz): rund 50 Teilnehmer
  • 12:00 Uhr – Dortmund (Hauptbahnhof): etwa 200 Teilnehmer
  • 13:30 Uhr – Viersen (Sparkassen-Vorplatz): 500 bis 1.000 Teilnehmer
  • 14:00 Uhr – Krefeld (Platz der Wiedervereinigung): 500 bis 2.000 Teilnehmer
  • 16:30 Uhr – Bocholt (Neutor): knapp 100 Teilnehmer


Damit zeichnet sich einer der größten landesweiten Schülerproteste der vergangenen Jahre ab.

Politischer Druck zur Plenarsitzung

Der Zeitpunkt der Demonstrationen ist bewusst gewählt: Bereits zum Auftakt der heutigen Plenarsitzung befasst sich der Bundestag mit den Wehrdienst-Plänen. Die Jugendorganisationen wollen so direkt politischen Druck aufbauen – sowohl auf die Regierungsfraktionen als auch auf die Opposition.

Am Nachmittag steht zudem ein migrationspolitisch umstrittenes Thema auf der Tagesordnung: Ein Gesetzentwurf soll die Bestimmung sogenannter sicherer Herkunftsstaaten per Rechtsverordnung erleichtern. Doch im öffentlichen Fokus des Tages steht eindeutig der Wehrdienst.

Ein wachsender Generationenkonflikt

Die Entwicklung zeigt, wie tief sicherheitspolitische Fragen inzwischen in den Alltag junger Menschen hineinwirken. Was lange als abgeschlossenes Kapitel der deutschen Geschichte galt – die Wehrpflicht – wird für viele plötzlich wieder greifbar. Entsprechend groß sind Sorgen um persönliche Freiheit, Lebensplanung und Zukunftsperspektiven.

Während die Bundesregierung auf die neue Sicherheitslage und den wachsenden Personalbedarf der Bundeswehr verweist, sieht ein Teil der jungen Generation darin vor allem den Beginn einer neuen Pflicht. Die klare Ablehnung des NRW-Schulministeriums gegenüber Schulstreiks verstärkt bei vielen das Gefühl, politisch zwar betroffen, aber institutionell ausgebremst zu werden.

Ob der massive Protest Einfluss auf die langfristige Ausgestaltung des Wehrdienstes haben wird, bleibt offen. Sicher ist jedoch: Die Debatte ist zurück – und sie polarisiert wie lange nicht mehr.


Autor: José Narciandi